Mystic-Legends – Artikel: Sind wir Künstler?

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Sind wir Künstler?

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Den kreativen Aspekt kann man in der heutigen Zeit unserem Hobby nicht mehr absprechen, selbst wenn man nur die Illustrationen und den literarischen Wert einiger ausgewählter Regelwerk- oder Hintergrundband-Exemplare betrachten würde. Das kreative Beschreiben fiktionaler Welten wurde in keinem Kunstgebiet derartig auf die Spitze getrieben wie im Rollenspiel. Wenn man überlegt, wie detailliert Tolkiens Mittelerde ist, könnte man meinen, es wäre als Vertreter der Literatur noch genauer als Rollenspiele, muss man aber als absolut gigantisches Gegenbeispiel Aventurien aus DSA dagegensetzen. Aber nur Rollenspieldesign als eigenständige Kunstform zu etablieren wäre wohl keine Frage, dass man damit durchkäme, denn hier ist der künstlerisch-kreative Punkt (von kindlich-naiv [viele Eigenbau-RPGs aus dem Netz] bis beinahe expressionistisch [DeGenesis]) deutlich zu erkennen. Die Synthese aus Literatur, Weltenbau, mathematischer Kreativität (Regelmodelle) und nicht zuletzt der künstlerischen Aktivitäten der Illustratoren ist das, was ein gut gemachtes Rollenspielbuch zu einem Kunstwerk erhebt. Sicherlich gitb es auch viel Schund und 08/15-Rollenspiele, aber gibt es das nicht auch in den anderen Kunstrichtungen und ist Trash nicht auch eine eigene Kunstrichtung geworden, eine Kunstrichtung, um die sich regelrechte Fan-Kulte entwickelt haben?
Aber was ich hier möche, ist nicht etwa die "Hauptkreativen", die Rollenspielentwickler, zu vergöttlichen, ich will das gesamte Selbstverständnis der Rollenspieler beeinflussen: Jeder Spielleiter ist ein Künstler, am ehesten zu vergleichen mit einem Regisseur oder Intendanten am Theater oder beim Film, er überwacht alles, schreibt aber nicht allein das Drehbuch, sondern nur den Plot.
Diejenigen, die das Drehbuch schreiben und gleichzeitig spielen, sind auch Künstler. Das ist es, auf was ich hinaus möchte: Rollenspieler sind Künstler – sie schaffen fiktionale Charaktere und lassen sie in einer fiktionalen Welt fiktionale Handlungen durchleben, hauchen ihnen Leben ein wie ein Bildhauer einer besonders schönen Plastik, wie ein Schauspieler seiner Rolle und wie ein Schriftsteller seinen Protagonisten. Das ist pure Kreativität.
Das wir eigentlich etwas ganz anderes damit bezwecken, dass wir eigentlich aus der Welt fliehen wollen, dass wir das Rollenspiel nutzen, unseren eigenen Charakter zu festigen und zu formen, ihn zu erkunden und an anderen fiktionalen Wesen zu messen, ist mittlerweile eine Sache, die recht verwischt ist.
Wenn man sich die verschiedenen Strömungen im Rollenspiel betrachtet, dann kann man sehen, dass es vielen nicht mehr rein um das Erleben der Abenteuer geht (letztlich war doch alles schon mal da), mittlerweile arbeitet man mit unterschiedlichen Stilen, Setting uns Phiosophien, es wird über Rollenspieltheorie diskutiert wie über Kunsthistorie. Und man kann, wenn man die Geschichte des Rollenspiels betrachtet, immer mehr herauslesen, dass sich die eigentliche "Kunst" stärker und stärker herauskristallisiert: Vom Dungeoncrawl zu völlig neuen Systemansätzen, die stärker auf den Charakter der Charaktere, auf das Erzählen fokussieren. Der kreative Aspekt wird immer deutlicher herausgearbeitet.
Letztlich können sich die Spieler und Spielleiter (wenn in der modernen Gruppe überhaupt noch dazwischen getrennt wird und es keine Entwicklung hin zu einem Typus Rollenspielgruppe geht, in der sich jeder im Setting und im Spielleiten so gut auskent, dass jeder einen Teil zu einer guten Geschichte beitragen kann) als Artists in Performance betrachten, die einander eine einzigartige Darbietung ihrer Kunst bieten, die unreproduzierbar bleibt und nur fassbar für diejenigen ist, die dabei sind und mitmachen, sich treiben lassen und ihre "kreative Energie" dem Pool der Gruppe beisteuern.
Warum ich diesen Artikel geschrieben habe? Überlegt doch mal, was sich für Möglichkeiten in der Rollenspielentwicklung gäbe, würden sich auch die Rollenspieler selbst nicht nur als kreative Köpfe sondern wirklich als Künstler verstehen, die einzigartiges und persönliches schaffen. Wenn man die Ergebnisse von Rollenspielsitzungen mit der Einstellung von "Rollenspiel als Spaßbringer" und "Rollenspiel als Kunstform" vergleicht, könnte man mit Sicherheit viel über unser Hobby lernen und herauslesen. Dann würden die Spieler zu mehr persönlichem Engagement angestachelt, dann wäre es eine Möglichkeit, den etwas zweifelhaften Ruf des Rollenspiels leicht in eine andere Richtung zu schieben – weg von der Zeitverschwendung hin zur Persönlichkeitsbildenden kreativen Kunstform. Ich sehe tausend Möglichkeiten, was dann anders wäre, wenn wir uns selbst überdenken würden.
Geschrieben am 31.03.2007