Mystic-Legends – Artikel: Kurzgeschichte

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Kurzgeschichte

Die Geister riefen ihn schon seit geraumer Zeit. So lief er durch die dunklen Gassen und die Nebelschwaden der Räucherpfannen bis in den Tempel, um sich endlich Gewissheit zu verschaffen. Schon nach kurzer Zeit fand er einen Händler, der bereit war, ihm für eine stattliche Anzahl Münzen ein junges Kalb zu überlassen, dass er opfern konnte.
Das Blöken des Tieres, welches wohl klar erkannte, was es erwartete, hallte durch den fast menschenleeren Gebetsraum. Schweigend reichte Naloon der Priesterin das Messer und sie fuhr dem Tier damit, ohne zu Zögern quer über den Hals. Augenblicklich erstarben die klagenden Laute zu einem schnell schwächer werdenden Röcheln, vermischt mit dem Plätschern des frischen Blutes in der Opferschale. Schon zeigten die Qualmsäulen der Räucherstäbchen die ersten Muster und verdrehten sich zu wirren Zöpfen, die immer dichter und lodernder umeinander tanzten. Schließlich formte sich im Rauch ein Gesicht, der gerufene Geist war eingetroffen.
Nicht wie sonst spürte Naloon seine Stimme als leises Wispern direkt neben seinem Ohr, diesmal dröhnte das Gebrüll des Gerufenen durch den ganzen Tempel. „Du hast einen Fehler gemacht, Mensch. Mich ruft man nicht, mich nicht! Dein Opfer war vergebens, aber ich werde jede Chance nutzen, von jetzt an, deine Arbeit zu sabotieren und dich zu vernichten.“ Die Priesterin stieß einen erschreckten Schrei aus und taumelte Rückwärts. Sie schlug mehrfach mit der Hand das Zeichen des Bewahrers, Blut tropfte dabei von ihren Fingerspitzen und hinterließ tausende kleine Spritzer auf dem polierten Fußboden. Dann wendete sich das Gesicht, mittlerweile zur grässlichen Fratze verwandelt, zu Naloon. Es bleckte qualmende Zähne, öffnete den Rachen und schickte sich an, nach ihm zu schnappen.
In diesem Augenblick ließ ein scharfes Zischen den jungen Nodoraner zusammenfahren – die Priesterin hatte die Opferschale über die Räucherstäbe geschüttet und dem Qualm damit die Nahrung geraubt. Ein widerlicher Geruch stand in der Luft und Naloon entdeckte zum eigenen Entsetzen, dass er sich selbst vor Angst beschmutzt hatte. Aber im gleichen Augenblick, in dem die Priesterin die brennenden Stäbchen gelöscht hatte, war auch der Geist verschwunden. Das Opfer war vergebens und Naloon wurde wieder von den Stimmen verfolgt. Er zog sich das Hemd über den Kopf und wischte sich den Schweiß vom Kopf. Sein Gesicht war vom verspritzten Blut ganz klebrig und in seinem Mund breitete sich ein süßlicher Geschmack aus. Die Priesterin! Sie war schuld daran. Sie hatte mit Sicherheit bemerkt, dass er…
Die Priesterin schüttelte ihren Kopf, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Da entdeckte sie, dass Naloon keine Tätowierung trug. Stattdessen waren kleine Metalldorne in seinen Rücken gestochen – sie ergaben zusammen betrachtet ein komplexes Muster. Das musste einst höllisch geschmerzt haben, doch der junge Mann bewegte sich ohne Probleme. Jetzt drehte er sich um und seine Augen funkelten voller Zorn…

Geschrieben am 17.02.2008